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Wirtschaft
Bleibt oder geht die Inflation? Versuch einer Standortbestimmung
Bleibt oder geht die Inflation? Versuch einer Standortbestimmung
© monsitj / Getty Images
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    Die Inflationsraten in vielen Industriestaaten gehen seit Monaten kontinuierlich zurück, größtenteils wie erwartet. Doch wie geht es weiter?

    Der Ausblick bleibt unsicher. Dies gilt nicht nur für das kommende Jahr, sondern auch für die mittelfristige Perspektive. Für 2024 spricht viel dafür, dass sich die Tendenz einer sinkenden Verbraucherpreis-Inflation zumindest abgeschwächt fortsetzt. Gleichwohl dürften die Inflationsraten in den Industriestaaten im Jahresdurchschnitt noch nicht wieder das Zielniveau der Zentralbanken von 2 % erreichen.

    Und auch wenn das in den Jahren danach gelingen sollte – mittelfristig dürfte die Inflation kaum wieder dauerhaft deutlich unter 2 % fallen. Viele strukturelle Faktoren, beispielsweise Kostennachteile infolge von weniger Globalisierung, sprechen für erhöhten Inflationsdruck. Für Versicherer und Rückversicherer ist das wegen Auswirkungen auf die Schadenentwicklung sehr bedeutsam.

    Einige Antworten von Munich Re-Chefvolkswirt Michael Menhart:

    Die Inflationsraten sinken seit Monaten wieder. Alles wie erwartet?

    Die Inflationsdynamik lässt schon seit gut einem Jahr wieder deutlich nach. Lag die Inflationsrate im Herbst 2022 in der Eurozone noch bei über 10 %, so sind wir inzwischen bei knapp 2,5 %. Insbesondere die Effekte der nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stark verteuerten Energiepreise haben sich umgekehrt, d.h. im Jahresvergleich ist Energie nun billiger. Ebenfalls rückläufig ist die Preisdynamik bei vielen Industriegütern, so sind z.B. die Importpreise nun niedriger. Das alles reduziert die Inflationsrate recht deutlich. Ähnliches beobachten wir in den USA.

    Es gibt aber durchaus noch Grund zur Sorge. Denn die sogenannte Kerninflation ohne Berücksichtigung der volatilen Energie- und Lebensmittelpreise sinkt deutlich langsamer. Vor allem geht im Dienstleistungs-Sektor die Inflation nicht so schnell zurück – das hat viel mit den Löhnen zu tun. Die Lohnzuwächse liegen noch deutlich über früheren Durchschnittswerten. Zum einen, weil Gewerkschaften in Tarifverhandlungen einen zumindest partiellen Ausgleich für die hohe Inflation durchsetzen können. Zum anderen, weil Arbeitskräfte in vielen Sektoren knapp sind und Unternehmen von sich aus höhere Löhne zahlen. Zwar lässt die Dynamik hier etwas nach, aber der Ausblick für das Lohnwachstum ist einer der entscheidenden Unsicherheitsfaktoren für die Inflationsprognosen.

    Wann wird die Inflation in den großen Volkswirtschaften wieder die Zielgröße der Notenbanken erreichen?

    Vermutlich erst in der zweiten Jahreshälfte 2024 – vorausgesetzt, es kommt nicht zu neuerlichen Preisschocks. Und sehr wahrscheinlich ist, dass im Jahresdurchschnitt 2024 in der Eurozone ebenso wie in den USA das Zielniveau von 2 % noch nicht erreicht wird – wir prognostizieren derzeit für beide Volkswirtschaften durchschnittlich 3,0 % Inflation. Der weitere Verlauf hängt wie erwähnt vor allem von der Lohnentwicklung ab. Die recht schwache Konjunktur, die wir für 2024 erwarten, spricht eigentlich für Entspannung auf den Arbeitsmärkten – und somit für nachlassendes Lohnwachstum. Zudem dürften viele Unternehmen bei schwacher Konjunktur geringere Spielräume bei den Preisen haben. Auch das würde die Inflation dämpfen. Genau das beobachten die Notenbanken bei der Ausrichtung ihrer Geldpolitik sehr genau.

    Klar ist aber auch: Das Risiko einer hartnäckigen Inflation klar oberhalb der 2 % ist beträchtlich. Energie- oder Rohstoffpreis-Schocks könnten dazu beitragen. Noch relevanter jedoch sind meines Erachtens anhaltende Engpässe am Arbeitsmarkt und entsprechend hohe Lohnkosten-Steigerungen.

    Sind die Zeiten von Inflationsraten deutlich unter 2 % also endgültig vorbei? Und warum?

    Selbst wenn die Inflationsraten wie erwartet in der zweiten Jahreshälfte 2024 auf die 2 % Marke zurückkehren sollten: spannend wird es danach. Derzeit spricht wenig dafür, dass wir mittelfristig wieder so niedrige Inflationsraten sehen werden wie in den Jahren vor Corona.

    In den letzten 40 Jahren haben Globalisierung, Demografie, Digitalisierung und Deregulierung dazu beigetragen, die Inflation zu dämpfen. Einige dieser Faktoren kehren sich jetzt vermutlich um. Erstens: Da sich die geopolitischen Konflikte verschärfen, insbesondere zwischen den USA und China, sehen wir bereits eine deutliche Abschwächung der Globalisierung. Wenn sich dies fortsetzt, dürften Kostenvorteile der globalen Arbeitsteilung kleiner werden und sich der Preisdruck bei vielen Gütern erhöhen. Zweitens dürften die demografische Entwicklung, insbesondere die Alterung der westlichen Gesellschaften, zu einem anhaltenden Arbeitskräftemangel und damit höheren Lohnwachstum führen. Drittens sehen wir nach einer Ära der Marktderegulierung mit mehr Wettbewerb, insbesondere in den 90er und 00er Jahren, nun eine Periode der Re-Regulierung. Auch dies dürfte tendenziell zu höherer Inflation führen. Lediglich Digitalisierung und Automatisierung wirken weiter inflationsdämpfend, zum Beispiel weil Künstliche Intelligenz für Produktivitätsfortschritte sorgen wird.

    Neu hinzu kommt allerdings, dass die „Dekarbonisierung“ und die Umstellung auf eine Netto-Null-Wirtschaft ebenfalls inflationserhöhend wirken dürften. Erst längerfristig, wenn kostengünstige erneuerbaren Energiequellen ausreichend zur Verfügung stehen, dürften diese inflationären Effekte nachlassen.

    Wie gewichtig sind diese Faktoren und was bedeutet das für den mittelfristigen Inflationsausblick?

    Zunächst: Es spricht einiges dafür, allen voran die geopolitische Situation, dass die Volatilität aus volkswirtschaftlicher Sicht in den kommenden Jahren hoch bleibt. Makroökonomische Schocks, wie zuletzt infolge der Pandemie oder des Kriegs in der Ukraine, könnten sich also wiederholen. Allein dadurch ergibt sich eine beträchtliche Unsicherheit für den Ausblick auf die Inflation.

    Und: Wie stark diese strukturellen Veränderungen in den kommenden Jahren auf die Inflation wirken, lässt sich quantitativ nicht gut abschätzen. Daher sind aus meiner Sicht zwei Szenarien relevant: Im ersten Szenario sind diese Effekte nicht zu stark ausgeprägt, so dass sich die Inflation in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts bei durchschnittlich etwas über 2 % einpendelt. Hinzu kommt in diesem Szenario, dass die Zentralbanken – auch um nicht in ein Glaubwürdigkeitsdilemma zu geraten – weiter ihr Inflationsziel klar im Auge behalten und bei zwischenzeitlich wieder steigenden Inflationsraten konsequent geldpolitisch reagieren. Gleichwohl wären wir auch dann im Vergleich zum letzten Jahrzehnt – hier lag die Inflation im Durchschnitt der G7 Länder bei nur 1,4 % – in einem strukturell anderen Inflationsumfeld.

    Die ganz überwiegende Mehrheit der ökonomischen Experten erwarten im Übrigen nach wie vor eine Inflation von mittelfristig nahe 2 %. Daher ist das erste Szenario auch unsere derzeitige Basisprognose für den Zeitraum 2025-2030.

    Aber es gibt auch ein durchaus realistisches Szenario, dass sich die genannten Veränderungen stärker auswirken, so dass wir Inflationsraten von durchschnittlich rund 3 % jährlich erleben würden. Das wäre eine Herausforderung für die Geldpolitik, denn Inflation von anhaltend klar über 2 % könnte die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken gefährden – an den Finanzmärkten, bei Haushalten und Unternehmen. Wichtig ist: Das ist kein extrem unwahrscheinliches Szenario – die Wahrscheinlichkeit hierfür dürfte meines Erachtens vielmehr bei rund 30 % liegen.

    Was bedeutet die mittelfristig im Vergleich zu früher höhere Inflation für die Versicherungswirtschaft?

    Vordergründig zunächst, dass eine höhere Inflation im Pricing berücksichtigt werden muss. Die Herausforderung besteht vor allem in der weiterhin hohen Unsicherheit. Denn sollte die volkswirtschaftliche Inflation mittelfristig doch höher ausfallen als in den Basisprognosen angenommen – und das ist meiner Ansicht nach ein realistisches Risiko –, dann würde sich das insbesondere im „long-tail“- Geschäft, etwa Casualty, negativ auswirken. Hinzu kommt, dass auch für spezifischere Treiber der Schadeninflation die Unsicherheit erhöht bleiben dürfte. Zu nennen wären hier zum Beispiel Lohnentwicklungen im Pflegesektor, wo Arbeitskräfte fehlen. Aber auch Kosten für Baumaterialen könnten in den kommenden Jahren stärker schwanken, was die Unsicherheit erhöht. 

    Experten
    Michael Menhart
    Chefvolkswirt von Munich Re
    Oliver Büsse
    Oliver Büsse
    Leiter Economic Research

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